Wie eine Folie liegt unter dem Romanwerk von Heinrich Mann, mit dem er sich einen unverrückbaren Platz in der Weltliteratur erschrieben hat, seine Kurzprosa. Rund vier Jahrzehnte lang greift er in seinen kürzeren Texten - heißen sie nun Erzählungen oder Novellen - Themen auf, die sich später in seinen Romanen wiederfinden. Sie begleiten das Werk, sind sein Bestandteil. Ohne die frühen Erzählungen, deren Personal überwiegend in der gesicherten Existenz des Großbürgertums zu Hause ist, kein »Schlaraffenland«, keine »Göttinnen«-Trilogie; ohne die von mehreren Italien-Aufenthalten inspirierten Künstlemovellen keine »Kleine Stadt«; ohne die satirischen und gesellschaftskritischen Erzählungen (wie etwa die Titelgeschichte in diesem Band) kein »Untertan«. Die Lektüre dieser chronologisch angeordneten Sammlung von Erzählungen vermittelt anschaulich die Entwicklung des Schriftstellers Heinrich Mann - vom schwärmerischen Ästheten zum Radikaldemokraten, zum Humanisten. Nicht weiter überraschend, dass Heinrich Mann ab etwa 1929 keine kurzen Prosatexte mehr verfasst. Offenbar erscheint ihm die geschlossene Form der Novelle als nicht mehr geeignet, die tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen angemessen darzustellen. Heinrich Mann weicht auf Essay, Aufruf oder Pamphlet aus. Ausnahme: der letzte Beitrag in diesem Band »Eine Liebesgeschichte«. Sie ist eine in seine Autobiografie »Ein Zeitalter wird besichtigt« eingeflochtene Geschichte, einem der wichtigsten Erinnerungsbücher deutscher Sprache in diesem Jahrhundert.