Kaum ein anderer Künstler oder eine andere Künstlerin im 20. Jahrhundert ist von einer vergleichbaren Mythen- und Legendenbildung um die eigene Biografie gekennzeichnet wie Emil Nolde. Jahrzehntelang galt er als einer der Kunstschaffenden, die am stärksten unter der diskriminierenden nationalsozialistischen Kulturpolitik gelitten haben. Dieser Mythos ist auf das Engste mit dem Künstler selbst und der Kunstgeschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Auch wenn das Wissen um die von diesem Mythos verschleierte Wirklichkeit vorhanden und zugänglich war, räumte erst die Ausstellung Emil Nolde - Eine deutsche Legende im Jahr 2019 damit auf und thematisierte Noldes nationalsozialistische Grundüberzeugung, seinen Antisemitismus und die Rolle seiner Kunst in diesem Zusammenhang. Noldes Ungemalte Bilder, mehr als 1300 Aquarelle, spielen in jenem Kontext eine zentrale Rolle. Diesem Werkkomplex, der »zu einem zentralen Nolde-Mythos der bundesrepublikanischen Kunstgeschichtsschreibung« geworden ist, so Bernhard Fulda und Aya Soika in diesem Buch, ist die vorliegende Publikation gewidmet. Erstmals seit dem Beginn der Aufarbeitung der Rolle Emil Noldes im Nationalsozialismus durch die Nolde Stiftung Seebüll vor zehn Jahren erscheint diese monografische Darstellung unter Einbeziehung jüngster Forschungsergebnisse. (Text dt., engl.)