Auf dem Höhepunkt der deutschen Machtentfaltung im Zweiten Weltkrieg lebten 230 Millionen Menschen unter deutscher Herrschaft. Sie alle mussten sich mit den Besatzern arrangieren und machten Erfahrungen, die bis heute nachwirken. Tatjana Tönsmeyer hat die erste Geschichte des deutsch besetzten Europas geschrieben, die die Perspektive der Besetzten und nicht der Besatzer einnimmt - und legt damit ein dunkles Erbe frei, das unterschwellig immer noch im Verhältnis der europäischen Nachbarn zu Deutschland präsent ist. Das deutsch besetzte Europa reichte von Nordnorwegen bis zu den griechischen Mittelmeerinseln und von der französischen Atlantikküste bis zu Gebieten tief im Inneren der Sowjetunion. Millionen von Menschen erlebten tiefe Einschnitte in ihrem Lebensalltag, in ihrer Wohnsituation, in ihrer Versorgungslage und an ihrem Arbeitsplatz. Die deutschen Besatzer erließen neue Regeln, spalteten die Gesellschaften und schufen eine Atmosphäre, in der Gewaltanwendung immer eine Option darstellte - vor allem für die Jüdinnen und Juden, die zusätzlich einer genozidalen Verfolgung ausgesetzt waren. Die zivilen Opfer überstiegen in allen besetzten Gesellschaften die Zahl der toten Soldaten. Gleichzeitig waren die Besetzten keine homogene Masse passiver Opfer. Sie hatten Handlungsoptionen, die sie nutzen konnten, um sich zu verweigern - oder sich den Besatzern anzudienen. Tatjana Tönsmeyer zeigt eindrücklich, wie die deutsche Besatzung das Leben von Millionen Europäerinnen und Europäern veränderte und was es bedeutet unter einer Besatzungsherrschaft zu leben. Eine Erfahrung, die vor dem Hintergrund der russischen Besatzung großer Gebiete der Ukraine von bedrückender Aktualität ist.